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„KI wird unsere Welt noch schneller verändern“

InnoTrans Report: Herr Böhm, an welchem spannenden Produkt ar- beiten Sie in Ihrem Unternehmen gerade?

Thomas Böhm: Es fällt mir schwer eines herauszugreifen, weil alle unsere Produkte spannend sind – aus unterschiedlichen Gründen. Wir haben zum einen KONUX Traffic, unser jüngstes Produkt, das mittels Datenfusion und KI ein historisches Modell der Kapazitätsausnutzung und Verspätungsereignisse erstellt. Es soll Reserven aufdecken und die Resilienz erhöhen. Zum ersten Mal bilden wir den Zugverkehr eines gesamten Netzes ab. Es begeistert mich zu sehen, was da in so kurzer Zeit entsteht: zum Beispiel als ich das erste Mal gesehen habe, wie sich Zugverspätungen über einen Tag hinweg im Netz ausbreiten, “bewegen” und verschwinden.

Zum anderen KONUX Network, mit dem wir tatsächliche Belastung, Zustände und externe Ereignisse zusammenbringen, um so Alterung und Instandhaltungsbedarf vorherzusagen. Wir stellen uns darin erstmalig der großen Herausforderung, Daten und vor allem analytische Modelle über mehrere Produkte und ganz unterschiedliche Anwendungsfälle miteinander zu verknüpfen. Wir zerbrechen uns die Köpfe darüber, wie wir logische Beziehungen abbilden und dabei Cloud-Infrastruktur effizient nutzen.

Und dann ist da noch die prädiktive Instandhaltung von Weichen, welche sich gerade im Roll-out bei der Deutschen Bahn befindet. Hier sind die Überraschungen spannend, an die wir bisher noch nie gedacht haben, zum Beispiel, dass das Mobilfunknetz in einer ganzen Region für mehr als einen Tag unzugänglich ist. Gleichzeitig entwickeln wir das System weiter beispielsweise für die Überwachung von Weichenzungen.

Wo sehen Sie die größten Veränderungen durch KI?

Thomas Böhm: Im Umgang mit großen unstrukturierten Daten, in einem Boost an Produktivität und in der Interaktion mit Computern ganz allgemein. KI gehört schon sehr lange zu KONUX und für mich als gelernter Data Scientist sogar noch länger zu meinem Leben. Dadurch war eigentlich nur der Durchbruch generativer KI überraschend für mich. Und genau da erlebe ich bei KONUX, in meinem Umfeld und in der „Blase“, in der ich mich befinde, deutliche Veränderungen. Bei uns hilft KI neuerdings beim Schreiben der Software. Und es gibt Kollegen, die durch ChatGPT oder CoPilot wieder programmieren, weil sie in der wenigen Zeit, die sie haben, jetzt wieder Ergebnisse erzielen können.

In welcher Hinsicht kann KI den Bahnsektor auf das Zukunftsgleisbringen?

Thomas Böhm: Die Antwort darauf schließt sich unmittelbar an die der vorherigen Frage an. Viele Infrastruktur- und Verkehrsunternehmen sowie Hersteller und Lieferanten werden in der Verwaltung entlastet. Das wird den Sektor agiler und kostengünstiger machen. Außerdem wirkt KI weniger befremdlich oder mystisch, und ich glaube, dass dadurch KI-getriebene Produkte schneller akzeptiert werden. Es gibt ja heute schon zahlreiche Lösungen, die mittels KI Probleme im Bahnsektor lösen, beispielsweise InstaDeep in der Disposition und Steuerung des Bahn- betriebs, Machines with Vision bei der Ortung und die KI-Lösungen der Deutschen Bahn selbst. Der größte Hebel besteht aber in der Möglichkeit, mittels natürlicher Sprache in generativer KI mit Computersystemen zu interagieren. Darüber bekommen mehr Menschen Zugang zu Problemlösungsverfahren – etwa zu Machine Learning – und es werden mehr Probleme gelöst, die heute eine tiefe Analyse erfordern.

Auf welche Bereiche hat KI keinen Einfluss?

Thomas Böhm: Ich glaube, es wird nichts geben, auf das sich KI nicht auswirkt – genauso wie es eigentlich nichts gab, auf das das Internet keinen Einfluss hatte. Es wird aber gerade im Bahnsektor einige Bereiche geben, die weniger betroffen sind. Alle Arbeiten mit gewünschtem, direktem Kontakt mit Menschen. Genauso werden physische Arbeiten wie die Instandhaltung, Bau und Montage weniger betroffen sein, ebenso wie alles im direkten Kontakt zwischen Menschen. Ich hoffe, dass sich eine gesteigerte Produktivität in der Verwaltung steigende Löhne und Attraktivität in der Instandhaltung bewirken. Muss ich plötzlich nicht mehr alles dreimal dokumentieren, bleibt mehr Zeit zum Reparieren.

Welches sind die wachsenden Herausforderungen, die sich durch die Nutzung von KI für die Verkehrsunternehmen ergeben?

Thomas Böhm: KI wird unsere Welt noch schneller verändern, was noch mehr Druck auf Verkehrsunternehmen ausübt, moderner zu sein und höhere Qualität und attraktivere Arbeitsplätze zu bieten. Darüber hinaus – und das gilt für alle Unternehmen – werden wir viel stärker auch Transparenz fordern und Echtheit nachweisen müssen. Viele KI-Systeme sollen mit der Zeit besser werden und neue Gegebenheiten adaptieren. Aber KI macht auch Fehler und kann sogar degenerieren. Deshalb implementieren wir schon während der Entwicklung ein Monitoring für unsere Modelle und Systeme.

Was hat sich seit der Gründung von KONUX vor nun fast zehn Jahren im Bahnsektor entscheidendes für die Nutzung von KI getan?

Thomas Böhm: KI ist kein fancy Thema mehr, keine abstrakte Zukunft. Viele Felder der KI sind in der Nutzung angekommen – wenn auch noch nicht flächendeckend. Außerdem verstehen viele Firmen besser, dass das Öffnen und Teilen von Datenhalden viel Nutzen bietet. Es ist schlicht besser damit zu arbeiten, als Daten zu beschützen.

Worüber denken Sie bei KONUX bereits nach, worüber die Branche noch nicht nachgedacht hat?

Thomas Böhm: Das ist ja fast schon eine unfaire Frage, denn ich kann ja gar nicht wissen, worüber all die anderen schlauen Kolleg:innen der Branche nachdenken. Am ehesten könnte ich mir vorstellen, dass wir schon viel weiter darin sind, wie wir den Menschen im Loop halten. Gerade in den Bereichen mit sehr speziellem und implizitem Wissen werden KI-Systeme etwas länger brauchen, um zu lernen. Und auch da, wo die relevanten Ereignisse wie eine Infrastrukturstörung eher selten sind, wird das so sein. Da brauchen wir den Menschen und seine Erfahrung, um Systeme zu verbessern. Darum arbeiten wir auch daran, einzubinden.

Thomas Böhm, KONUX